home >> EURAF webmag >> Dokumentation >> Bogie's Ansprache auf DOCTOR BOGARTH'S 35th BIRTHDAY PARTY im "Tropical Brasil" Hamburg am 20.1.1988

(Anm. d. Verf.: Diese Dokumentation einer seinerzeit in geschlossener Gesellschaft gehaltenen Rede spiegelt die seinerzeitige Auffassung wieder. Etwa verwirklichte "Schandtaten" wie evtl. Beleidigung, Billigung von Straftaten o. ä. dürften zwischenzeitlich verjährt sein, und wir machen uns solche mit nachträglicher Veröffentlichung dieser Dokumentation keinesfalls zu eigen. Wie schon ein prominenter Bundeskanzler sagte: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?")

Manuskript 20.1.1988

Liebe An- Ab- und Verwesende,

Zu einem solchen Abend gehört nun mal eine kleine Ansprache, und damit ich nicht  _aus Versehen_  in Fettnäpfe oder auf Schlipse trete, wozu ich ja als Berliner in Hamburg prädestiniert bin, habe ich mir ein paar Sätze im Externgedächtnis, auch Blatt Papier genannt, abgespeichert.

Ansonsten kommt hier heute abend nichts aus Manuskripten, Noten, Bändern, Cassetten, Disketten, Etiketten oder sonst was für Ketten, weil solche sowieso von unsereinem immer gesprengt werden.

Es gibt überhaupt einiges zu sprengen in diesem Lande, weil Beton ja leider nicht brennt. Ich werde immer wieder gefragt, was das Grafitti auf meinem Auto zu bedeuten habe "Advent, Advent, 'ne Oper brennt". Vielleicht komme ich darauf später nochmal zurück.

Erst mal möchte ich ein paar Grüße und Wünsche rüberbringen.

Zuerst grüße ich alle hier anwesenden Gäste - HALLO!

Ich freue mich, daß ihr so zahlreich erschienen seid, und besonders über einige Gesichter, die ich lange nicht mehr gesehen habe. PROST! CHEERS!

Ganz besonders danke ich meinem Organisationskomitee, Patrick, Nigel, Ken - ohne das ich hier nur am Rotieren wäre.

Als nächstes grüße ich ganz herzlich die Crew vom "Tropical Brasil", Harry, Trixi und Tanja, die es unter großen Mühen und oft auch großem Stress geschafft haben, einen kleinen Live-Musik-Club, und es ist ja beinahe schon der letzte in Hamburg, am Leben zu erhalten, und das ohne Subventionen von unseren Definitionsbereichskulturverwesern.

Bei dieser Gelegenheit noch ein paar Bemerkungen zur Cateringsituation. Ich kann zwar hier ein paar Kisten Sekt ausgeben, aber für alle weiteren Getränke ist die Gastronomie des Hauses zuständig, und die muß den Laden über Wasser halten. Ich hoffe, ihr werdet trotzdem nicht verdursten.

Früher gab's jede Menge große Parties mit reichlich zu fressen und zu saufen. Dann gab's lange genug überhaupt keine Parties mehr oder nur in ganz kleinen Kreisen.

Jetzt gibt's den neuen Stil, wo jeder etwas zur Party beiträgt, und ich verspreche jedem von euch, der in diesem Jahr eine Party macht, daß ich, wann immer ich es einrichten kann, kommen und meinen Teil beitragen werde.

Ich grüße meine ersten 35 Lebensjahre und verabschiede mich von euch - und tschüs!

Ich grüße alle Steinböcke, die heute auch Geburtstag haben, unter ihnen besonders Alfonso Correa (sorry you didn't bring your Chick ;-), der im Laufe dieses Abends an den Drums dabeisein wird, und die Stadt Rio de Janeiro, die heute ebenfalls Geburtstag hat, aber leider aus Räumlichkeitsgründen nicht kommen konnte.

Ich wünsche euch, daß wir auf meinem 40. Geburtstag genug Platz haben, um ganz Rio de Janeiro nach Hamburg einzuladen.

Ich grüße alle Leute, die eigentlich hierhergehören, aber den weiten Weg heute nicht geschafft haben.. Von diesen grüße ich ganz speziell meinen Freund und Bandleader Papa Curvin, den Negermeister von Hamburg, der zur Zeit leider auf Gomera (das ist 'ne Insel) in der Sonne liegen muß, um seinen in diesem rauhen Klima etwas ausgebleichten Teint wieder etwas nachzudunkeln; sowie unseren Bassmann Darryl, der im Sonderangebot günstig eine Handvoll gebrauchte Dollars erstehen konnte und jetzt in New York, New York die Korken knallen läßt.

Ich grüße alle, die mich schon immer mal auf die Fresse hauen wollten, weil ich in ihren Augen ein Idiot, ein verschlamptes Schwein, ein penetranter Perfektionist, ein alter Chauvi, ein kindischer Spinner, viel zu sensibel oder viel zu unsensibel bin, und wünsche euch, daß ich in euren Augen ab morgen was ganz anderes bin.

Ich grüße die Schlitzaugen in Rellingen und die Schlitzohren in Wandsbek-Gartenstadt.

Ich grüße alle meine verflossenen Beziehungskisten und -schachteln, unter ihnen drei ganz besonders: der ersten bin ich nach Hamburg hinterhergezogen - der zweiten bin ich nach Mallorca hinterhergeflogen - und die dritte hat mich davon kuriert, noch irgendeiner hinterherzulaufen.

Ich grüße auch alle Zukünftigen, die mir dann hinterherlaufen werden, und wünsche euch, daß ihr ab und wann mal euer Ziel erreicht.

Ich grüße alle abgefahrenen und kreativen Freaks, die nicht nur Rädchen, sondern auch mal Sand im Getriebe sind.

Ich grüße die Leute von Radio Hafenstraße, dem einzigen professionellen Rundfunksender Hamburgs, und wünsche, daß die HEW euch bald Drehstrom ins Haus legt, damit ihr so richtig aufdrehen könnt.

Ich grüße die Pizzabäcker und Gyrosbrater von der Lister Meile in Hannover, die es geschafft haben, eine McDonald's-Filiale in die Pleite zu treiben, und wünsche dasselbe den Kebab-Läden rund um die Reeperbahn und den Bahnhof Altona.

Ich grüße alle Rebellen, Chaoten, Phantasten, Utopisten, Anarchitekten, kreativen Heimwerker, sägende Zellen, Pyromantiker und Sprengmeister. Ihr werdet von weitaus mehr Leuten geliebt, als die das in aller Öffentlichkeit zuzugeben wagen, und ich wünsche euch noch mehr Phantasie, Mut und Klugheit bei der Zerschlagung betonierter Großstrukturen, denn wir brauchen nicht nur dezentrale Energiekonzepte, sondern dezentrale Lebensformen, um als ganze, friedliche Menschheit auf und mit diesem Planeten zu überleben.

Ein ganz bitterer Gruß geht an unseren neuen Kultursenator Ringo im Clinch, der den Verdacht, einer von der F.D.P. könnte besser sein als eine zwischen allen Stühlen, schnell zerstreut hat.

Zu meinem Entsetzen mußte ich den Medien entnehmen, daß in Hamburg jetzt die Opern schneller gebaut werden sollen, als die Feuerwerkskünstler mit dem Abbrennen hinterherkommen.

Was ist eigentlich Oper? Oper ist, wo die Musiker nicht auf der Bühne stehen, sondern im Graben sitzen.

Oper macht Künstler zu Robotern. Wer über die Zustände nur hundert Meter von hier gehört hat, bei den Whiskasfressern, weiß was ich meine.

Oper ist Großunternehmertum im künstlerischen Mäntelchen, die Ausdehnung der "Standortpolitik" unseres asozialdemokratischen Bürgermeisters auf den Kulturbereich.

Aber heben wir uns solch unerfreuliche Themen lieber für ein andermal auf, wir wollen schließlich feiern, solange das noch geht!

Einen ganz lieben Gruß  an alle Groupies. Ich wünsche euch, daß ihr lernt Musik zu machen, damit auch die Männer mal Groupies sein können.

Musik machen ist eigentlich eine kinderleichte Sache, solange man nur weiß, daß es das ist.

Ich selbst werde oft gefragt, ob ich nicht Unterricht geben will, aber ich sage meistens nein danke - denn Unterricht ist das beste Mittel, um jemand am Lernen zu hindern. Das sieht man doch schon, wirft man nur einen kurzen Blick in die Schulen, Unis und Musikhochschulen.

Für alle am Klavierspielen Interessierten lasse ich jetzt einen Experten hier eben mal die Grundbegriffe des Klaviers erläutern, alles weitere kann sich jeder ganz easy selbst zusammenklamüsern. Ich begrüße Professor Armin von Rauhreif.

>>Die Benutzeroberfläche das Klaviers besteht im Wesentlichen aus zwei Reihen von Tasten, die beide über die gesamte Breite des Klaviers, auch Frequenzbereich genannt, verteilt sind.

Die Tasten sind in den beiden Reihen nach verschiedenen Prinzipien angeordnet: die weißen nach einem diatonischen, die schwarzen nach einem pentatonischen.

Daher nennt man diatonische Musik auch weiße Musik, pentatonische auch schwarze Musik.

Auf den ersten Blick fällt auf, daß es weniger schwarze als weiße Tasten braucht, um denselben Frequenzbereich abzudecken, daß also die schwarzen mit ihrem pentatonischen Pribzip effektiver arbeiten.

Innerhalb solcher pentatonischer oder diatonischen Tastenreihen kann man sich nun nach Belieben, im Fachjargon auch "ad libido" genannt, hin- und herbewegen. Wenn man nur einen Ton gleichzeitig spielt, nennt sich das Melodie, bei mehreren Akkord. Andere Ausdrücke hierfür sind auch "monoton" und "polygam".

Setzt man unter freischwebende Melodien und Akkorde einen Bezugspunkt, auch Basston oder Root of the chord, Wurzel des Akkordes genannt, so werden aus diesen auf diese Weise verwurzelten Akkorden sogenannte Harmonien, denen man alle möglichen und unmöglichen Namen geben kann, wie z. B. Dur, Moll, mixodynamisch oder 9-bis-17-alternativ.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solche Basstöne zu erzeugen. Dem ganz Sensiblen genügt schon das Netzbrummen seines Verstärkers, um zeitlebens in G-Dur zu spielen. Das nennt der Fachmann "modale Musik".

Der Pianist benutzt vorzugsweise die linke Hand, weil es im Klavierbau üblich ist, die tiefen Töne links anzuordnen.

Hat man eine Orgel, so gibt es zumeist extra Basstasten, sogenannte Pedale, die mit den Füßen getreten werden.

Am besten sind jedoch diejenigen dran, die die Erzeugung des Basstons einem eigens hierauf spezialisierten Bassisten überlassen können.

In diesem Falle kann der Klavierspieler meistenteils frei in einer Pentatonik ode Diatonik rumklimpern, während der Bassist durch mehr oder weniger häufiges Wechseln der Basstöne dem ganzen die harmonischen Abwechslung verleiht.

Dabei sollte der Bassist zur Farbe der Tasten, auf denen der Klavierspieler spielt, möglichst auch die passenden Basstöne spielen, zumindest im professionellen Bereich, da anderenfalls bizarre Klanggebilde entstehen (*...*), die dem gemeinen zahlenden Musikkonsumenten unheimlich sind und die er getreu dem Motto "Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht" dann weitestgehend ignoriert.

Aus diesem Sachzwang heraus, und weil es auf dem Klavier zwar keine  "Leertaste", jedoch auf dem Bass mehrere "Leersaiten" gibt, die den Bassisten die Grundtonarten G - D - A - und E bevorzugen lassen, hat sich bei pentatonisch spielenden Pianisten als dritte Art der sogenannte Abrutsch-Stil entwickelt, auch "Vorschlaghammer" genannt.

Hierbei wird die durch die schwarzen Tasten vorgezeichnete Pentatonik um ca. 1 cm nach links oder rechts verschoben, und immer wenn man nicht genau weiß wo man ist, dann steigt man kurz hoch auf das schwarze Tastenniveau und rutscht nach links oder rechts wieder ab. Das klingt dann etwa so ... (*...*)

Dann gibt es als vierte Spielart noch die Chromatik, wo einfach alle schwarzen und weißen Tasten gleichberechtigt sind. Das klingt zwar etwas utopisch, aber man gewöhnt sich schnell daran.

Wenn man das weiß, kann man sich alles weitere, was man für seine persönliche Spielweise braucht, mit der Zeit selber zusammenpusseln. Alles Unpersönliche werden über kurz oder lang die Computer übernehmen, ob wir das nun wollen oder nicht.<<

Soweit under Experte, Professor Armin von Rauhreif. Wenn die eine oder ander noch mehr wissen will, dann steht er gern für Privatstunden zur Verfügung.

Das Wort "Unterricht" möchte ich lieber nicht mehr hören, das erinnert mich zu sehr an totalitäre Begriffe wie "Erziehung" oder "Pädagogik".

Wie sagte Khalil Gibran über Kinder: "Du kannst versuchen, ihnen gleich zu sein, aber versuche nicht, sie dir gleich zu machen, denn das Leben geht nicht rückwärts und verweilt nicht beim Gestern":

Ich habe auch endlich aufgehört, den großen Plattenkonzernen nachzuweinen, die eh bald auf Waschmaschinen oder sonstwas umsteigen werden, wenn es erst die bespielbaren CDs gibt.

Was haben die schon außer Geld? Musik bringt uns durch geldlose Zeiten, aber kein Geld brächte uns durch musiklose Zeiten!

Es gab mal eine Initiative "Ein Kinderdorf für die Hamburger Musikszene" oder so ähnlich. Laßt uns aufpassen, daß daraus nicht ein Rentnerclub wird, wie es uns die "GEMA" vorgemacht hat.

Wir haben heute eine Menge Musiker hier, und wir werden hier keine Produktion aufführen, sondern einfach SPIELEN:

Ich wünsche euch allen einen Wahnsinnsabend. DANKE.

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